In Brodowin wurde schon zu DDR-Zeiten der Grundstein für das Ökodorf gelegt.
Um gleich am Anfang mit einem Missverständnis aufzuräumen: Das Ökodorf Brodowin ist gar kein Ökodorf! Wegen dieses Missverständnisses muss Franziska Rutscher, die für das Ökodorf Brodowin am Telefon sitzt, viele Anrufer abwimmeln. „Wir sind keine Kommune, bei uns kann man nicht gegen Unterkunft arbeiten, wir sind ein ganz normaler gewinnorientierter Bio-Betrieb“, teilt die sehr gesund aussehende junge Frau mit fester Stimme mit. Genaugenommen liegt der Bio-Hof „Ökodorf Brodowin“ etwas außerhalb des alten Dörfchens Brodowin, mit rund 1600 Hektar Fläche und 190 Mitarbeitern auf eine respektable Größe angewachsen.
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Das Dorf Brodowin hingegen ist ein ganz normales Brandenburger Angerdorf mit Kirche, Storchennest und Dorfgaststätte. Niemand ist hier gezwungen, biologisch anzubauen oder gar zu essen. Und doch gibt es zwei weitere Bio-Betriebe im Dorf und nur einen konventionell arbeitenden Bauer. Bio hat in Brodowin also die Oberhand. Wie kam das?

Entscheidend für diese Richtung war ein gewisser Reimar Gilsenbach. Gilsenbach, 1925 geboren, war Schriftsteller, Umweltaktivist und Menschenrechtsaktivist. Er wuchs im Ruhrgebiet in den 20er Jahren in einer Hippie-Kommune auf, die sich dem Nacktsein, dem Vegetariertum und der freien Liebe verschrieb.
Im Zweiten Weltkrieg desertierte er, lief zur Roten Armee über und kam dann in sowjetische Kriegsgefangenschaft. In der DDR veröffentlichte er eine Reihe erfolgreicher Bücher, darunter „Herren über die Wüste“, „Schönheit der Flüsse und Seen“, „Weltchronik der Zigeuner“ und „Rund um die Erde“. In den 70er Jahren zog Gilsenbach nach Brodowin, wo damals eine LPG mit 170 Beschäftigten angesiedelt war. Mit Künstlern und Wissenschaftlern gründete Gilsenbach die „Brodowiner Gespräche“, die sich vor allem um Umweltthemen drehten. Zu Gilsenbachs Freunden gehörten Wolf Biermann und Robert Havemann, man kann sich also unschwer denken, wie die Stasi ihn einordnete. Gilsenbach schmuggelte sogar die Tagebücher Biermanns aus seiner Wohnung in Berlin und vergrub sie in Brodowin, bis zum Mauerfall blieben sie unangetastet.
Außerdem kämpfte Gilsenbach in der DDR für die Anerkennung der Sinti und Roma als Verfolgte des Naziregimes. Gilsenbachs vierte Ehefrau, die Biologin Hannelore Gilsenbach, wohnt heute noch in Brodowin, im letzten Haus des Dorfes am Waldrand. Gilsenbach starb im Jahr 2001 in Brodowin, sein Grab findet sich auf dem Friedhof des Dorfes.
Durch Gilsenbachs Vorarbeit wurde die Gründung des Demeter-Hofes erleichtert. Das Ökodorf Brodowin ist eine Rarität: es ist bis heute die einzige LPG auf dem Gebiet der DDR, die komplett in einen Biohof umgewandelt wurde. „Nach dem Mauerfall erhielten ja die Bauern aus Brodowin ihr Land, das sie in der DDR abgeben mussten, zurück“, erzählt Rutscher. Und sie unternahmen dann Fahrten zu Bio-Höfen in Westdeutschland, um sich zu informieren. „Sie entschieden sich für die Demeter-Methode, die strengste aller Bio-Qualitätsstufen.“

DDR Flair und moderne Ökolandwirtschaft entdecken
Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass ein Teil der Ställe und Lagerhäuser noch aus DDR-Zeiten stammt. Doch Chemie und Kunstdünger gehören der Vergangenheit an. Die Halterungen für die Kühe, die sie einst in ihrem Stallbereich fesselten, gibt es noch, sie sind nicht mehr in Betrieb. Kühe und Ziegen gibt es mittlerweile nicht mehr in Brodowin, aufgrund der Rezession ging der Absatz stark zurück. Der Umbau der LPG zum Bio-Betrieb war aufwendig und teuer, man machte viele Jahre lang Minus. Heute ist Ludolf von Maltzan Eigentümer, jetzt schreibt das Unternehmen endlich schwarze Zahlen.
Die hofeigene Molkerei, die Käse, Quark, Joghurt und andere Produkte fabriziert, ist mit einer riesigen Glaswand ausgestattet, so dass Besucher die Mitarbeiter beim Käsen oder beim Flaschenabfüllen beobachten können. Ein Liter Brodowiner Milch kostet 1,55 Euro, im Hofladen ist es allerdings der gleiche Preis wie im Supermarkt in der Stadt.

Das „Schwalbennest“ ein Demeter-Hof
Drei Kilometer entfernt von Brodowin liegt das „Schwalbennest“, der Demeter-Hof von Martina Bressel und ihrem Mann Ulrich. Das winzige Landsträßchen, das dorthin führt, schlängelt sich durch pralle Natur. Kurz vor Pehlitz unbedingt anhalten und die 147 Stufen hochsteigen auf den 81 Meter hohen kleinen Rummelsberg. Von oben bietet sich ein fabelhafter Blick über die sieben Seen, die Brodowin umgeben. Oft weiden hier auch die Schafe vom Schwalbennest, die jeden Abend im Trab über die Landstraße zurück zum Stall getrieben werden. Im Gegensatz zum Ökodorf Brodowin, dem wegen der LPG-Vergangenheit das Bauernhof-Idyll fehlt, kommen Landromantiker beim Schwalbennest voll auf ihre Kosten.
Es ist ein Bauernhof, wie er im Buche steht. Martina Bressel zählt auf: 50-100 Lämmer, 100 Enten, 100 Gänse, 3 Schweine, 12 Rinder, 12 Bienenvölker, 50 Hühner, dazu Hunde und Katzen. Sie alle werden nach den strengen Richtlinien von Demeter gehalten und haben jede Menge Platz. Zentrales Glied im Hoforganismus sind wegen ihrer besonders hohen Mistqualität die Kühe. Ohne ihren Dung ist der Aufbau der Bodenfruchtbarkeit nur schwer möglich, und damit haben die veganen Bauernhöfe, die es in Deutschland mittlerweile auch gibt, zu kämpfen. Rudolf Steiner, auf den Demeter zurückgreift, sagte ja: „Düngen heißt, den Boden zu verlebendigen.“
Scharen von Gänseküken schwarwenzeln derweil behende über den mit Stroh bedeckten Boden der alten Scheune, und obwohl sie erst eine Woche alt sind, wirken sie schon riesig.

Den alten Bauernhof übernahm das Paar im Jahr 2004, davor war hier die Kreisleitung der SED beheimatet, es gab sogar einen Kinosaal. Daher waren die Gebäude in einem akzeptablen Zustand. Im Hof leben nicht nur die Tiere, es wird auch Gemüse angebaut, und alles wird im Hofladen verkauft, aber auch über die Marktschwärmer in Berlin.
Über dem Regal mit Rohmilch steht ein Schild, auf dem steht, dass der Amtsarzt darauf dringt, dass die Rohmilch vor Verzehr erhitzt wird. „Das mussten wir dort anbringen“, sagt die Bäuerin streng.
Sogar die Milch wird an Ort und Stelle verarbeitet zu Käse oder Joghurt. Man kann sich leicht ausrechnen, dass Martina Bressel nicht viel Freizeit hat. Zufrieden ist sie dennoch, auch deswegen, weil ihre 5 Kinder mittlerweile ihren Berufen den Rücken gekehrt haben und auf den Hof zurückgekehrt sind.
Das idyllische Brodowin mit seinem Dorfanger entdecken
Beim Besuch von Brodowin sollte ein Bummel über den Dorfanger nicht fehlen. Da ist die Kirche, ein neugotischer Stüler-Bau aus dem Jahr 1852, eigentlich viel zu groß für das 400-Einwohner-Dorf. Schräg gegenüber gibt es ein Storchennest mit einem weithin sichtbaren Storchenpaar. Dann wäre da noch die Töpferei von Salka Schmidt, die Fischerei „Brodowinfisch“, und die Dorfgaststätte „Schwarzer Adler“. Es fällt auf, dass viele Dorfhäuser eine hölzerne Veranda vor dem Eingang haben, oft sogar mit Schnitzereien verziert. Im Sommer sitzen hier ältere Dorfbewohner und beobachten das gemächliche Treiben auf dem Dorfanger, und sie sind immer zu einem Schwätzchen aufgelegt.
Wer rund um Brodowin wandern möchte, findet eine hervorragende Infrastruktur. Die Touren „Kossäten-Tour“, „Rummelsberg-Tour“, Plagefenn-Tour“ und „Bellevue-Weg“ sind ausgeschildert mit Findlingen, an denen runde Metalltafeln befestigt sind. Sie sollen daran erinnern, dass die Landschaft um Brodowin von der letzten Eiszeit geformt wurde. An verschiedenen Punkten im Dorf gibt es außerdem große Tafeln mit Übersichtskarten.
Tipp: in den Sommerferien gibt es jeden Samstag um 11 Uhr eine Führung durch das Ökodorf Brodowin, sie kostet 3 Euro pro Person. Auch im Schwalbennest gibt es jeden ersten Samstag im Monat eine Führung um 14 Uhr.
www.hofschwalbennest-brodowin.de
Hier schreibt Dirk Engelhardt. Ich wohne in Eberswalde, wo ich seit 2015 als freier Journalist arbeite. In dieser Rolle schreibe ich Artikel für das Eberswalde-Magazin sowie für diverse andere deutsche Zeitungen und Magazine. Geboren 1967 in Göttingen und in Hessen aufgewachsen, habe ich zuvor unter anderem für die Berliner Morgenpost gearbeitet und Reisebücher verfasst. Jetzt, als Eberswalder, bereitet es mir große Freude, die Themen und Geschichten meiner Heimat gut zu recherchieren und darüber kurzweilig zu berichten. Mehr über mich: https://www.dirk-engelhardt.de/ Über eine kleine Zuwendung über Paypal an paulpunter46@gmail.com würde ich mich freuen.