700 Marktstände ziehen Besucher aus Berlin und Eberswalde an
An den geparkten Autos auf dem riesigen Parkplatz kann man erkennen, dass vermögende Kunden hier wohl selten einkaufen: Mercedes, BMW oder Porsche sind praktisch nicht auszumachen. Statt dessen prägen Kleinwagen wie VW Polo oder Renault Twingo das Bild. Das Angebot, das auf den rund 700 (!) Marktständen hier feilgeboten wird, ist auch nichts für Kunden, die sonst am Kudamm shoppen. Es gibt alles: von der Adidas-Trainingsjacke über Filzpantoffeln, Korbsessel, Handyhüllen, Autozubehör, Gartengeräte, Werkzeug, und natürlich Zigaretten.
Inhaltsverzeichnis
Dann natürlich noch Restaurants, Frisöre, Tankstellen, Autowäsche, Möbel, Uhren, sogar Feuerwerk, das ganze Jahr über. Und praktisch alles ist billiger als in Deutschland. Eine Jeans für Herren ist für rund 22 Euro zu haben, allerdings ist es keine Markenware. Bei einem Haarschnitt spart man noch mehr: schon ab 4 Euro geht es hier los. Es gibt Schlüsseldienste, Zelte, Schlauchboote mit Motor, ferngesteuerte Panzer, Fliesen, Betonpflaster, Gartenzäune aus Metall und aus Beton, sogar Torten mit individuellem Aufdruck.
Ein mittelgroßer Sack getrocknetes Kaminholz ist für 2 Euro zu haben. In der Apotheke gibt es frei verkäufliche und rezeptpflichtige Medikamente. Die Packung Grippostad kostet hier 3 Euro, statt 6 Euro wie in Deutschland. Alle Produkte werden übrigens in Euro bezahlt, bar oder mit Karte, Sloty sieht man auf dem Polenmarkt nie.
Inmitten einer historischen Fabrikanlage zieht der Polenmarkt seine Besucher an
Wenn man vom deutschen Dorf Hohenwutzen über die hier schon sehr breite Oder fährt, ist man dort. Der Anblick ist einigermaßen bizarr: der Polenmarkt befindet sich in einer historischen Fabrikanlage von riesigen Ausmaßen, teilweise in Ruinen. Drumherum gruppieren sich Verkaufsstände mit greller Neon-Beschriftung (Billig!), die starkes Nachwendeflair versprühen.
Die Fabrik wurde 1936 vom Konzern Waldhof als Fabrik für Zellstoff und Papier erbaut. Mehr als 400 Menschen arbeiteten damals dort, das Gebiet war deutsch. Bis auf den riesigen Schornstein, der nach dem Zweiten Weltkrieg gesprengt wurde, sind alle Gebäude – zumindest als Hülle – erhalten. Spuren von Bombeneinschlägen und Granatsplittern sind aber noch deutlich zu sehen. Die Maschinen sind als Reparation in die Sowjetunion gegangen, übrig blieb die Gebäudehülle. Nach dem Mauerfall, als der Polenmarkt sich schnell in Berlins neuer Stadtmitte etablierte, begann auch hier bald ein Markttreiben mit Marktständen.
Hohenwutzen entwickelte sich zu einem der größten Märkte an der deutsch-polnischen Grenze. Warum die Sachen alle so billig sind? „Aufgrund der weiterhin teils erheblichen Preisvorteile, Lohnvorteile und Steuervorteile gegenüber Deutschland hat Polen erhebliche Standortvorteile, so dass sich auch in Zukunft die positive Entwicklung des Polenmarktes fortsetzen wird“, heißt es vom Markt hierzu.
Der Großteil der Stände ist täglich, auch sonntags, von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Es gibt jedoch einige Stände, die täglich 24 Stunden geöffnet sind und vor allem Zigaretten, Alkohol und Waren anbieten, die man auch aus den Spätis kennt. Die Tankstellen haben zur Zeit Preise um 1,20 Euro pro Liter. „Bringen Sie Reservekanister mit, dann lohnt sich das Tanken noch mehr“, raten Schilder auf den Tankstellen. Man ist eingestellt auf den deutschen Geizkragen.
Dreimal am Tag fährt sogar ein extra Bus von Berlin auf den Polenmarkt, eine Fahrt kostet 5 Euro. Abfahrt ist in Marzahn, dann geht es weiter über Ahrensfelde und Werneuchen, die Fahrt dauert rund eine Stunde. Geködert werden die Besucher dabei mit Gutscheinen im Wert der Fahrkarte, die man bei verschiedenen Händlern und Restaurants einlösen kann.
Doch es ist nicht nur der Preis, der die Kunden auf den Polenmarkt lockt. Es gibt auch Dinge, die es nur hier zu kaufen gibt. „Dazu gehören Gartenfiguren, bestimmte Werkzeuge, Pflanzen, polnische Lebensmittel, Waldpilze, CDs, DVDs und Kleidung mit Markenaufdrucken“, sagt Nicolas Gesch, der den Polenmarkt leitet. Auch „Souvenirs“ aus dem Deutschen Reich könnte man hinzufügen.
Auch essen kann man auf dem Markt. Kulinarische Höhenflüge sollte man allerdings nicht erwarten. Neben dem McDonalds gibt es fünf Restaurants, „An der Oder“, „Aquarius“, „Star“, „River“ und „In der Markthalle“. Eine Mittagsmahlzeit ist hier schon für rund 5 Euro zu haben, Schaschlikspieße und Koteletts bruzzeln im Freien auf Grills. Wer es deftig mag, ist hier richtig.

Nicht alles darf mit nach Deutschland gebracht werden
Neben den alltäglichen Dingen auf den Marktständen gibt es aber auch Artikel, deren Einfuhr nach Deutschland nicht erlaubt ist. Dazu zählt „Roundup“, das berüchtigte Unkrautvernichtungsmittel mit Glyphosat, bestimmte Waffen, Butterflymesser, Elektroschocker, Feuerwerk der Klasse 3 und 4. „Feuerwerk der Klassen 3 und 4 ist in Deutschland generell verboten, auch an Silvester“, erläutert Astrid Prinz vom Hauptzollamt Frankfurt / Oder. Bei den illegal eingeführten Waren liegen eindeutig Zigaretten an der Spitze. „Dies, obwohl die Menge von 800 Zigaretten pro Person eigentlich schon eine ganze Menge ist“, so Prinz. Achten solle man unbedingt auf die polnische Steuerbanderole auf den Zigarettenpackungen. „Wenn die nicht drauf ist“, so Prinz, „dürfen Zigaretten gar nicht eingeführt werden.“
Doch die Kontrolle der Autos, die vom Markt wieder zurück nach Deutschland fahren, ist schwer und kann nur stichprobenartig erfolgen. Wie viel illegale Güter da unentdeckt bleiben, kann auch Prinz nicht sagen. Großzügig sind die Einfuhrbestimmungen nach Deutschland für Bier: 110 Liter pro Person sind hier erlaubt, bei Schnaps sind es 10 Liter.
Ungefährliche Dinge verkauft Jerzy Wiszniewski aus Morin, der zwei Stände im Außenbereich des Marktes hat. „Seit 20 Jahren stehe ich hier, ich verkaufe Unterwäsche und Tischwäsche.“ Aus Polen stammen laut Wiszniewski nur ein Bruchteil seiner Waren; das meiste kommt aus der Türkei oder aus China. Der Pole arbeitet 7 Tage pro Woche, und im Winter bei Temperaturen bis minus 15 Grad. Doch er ist froh, wieder auf dem Markt zu sein, denn wegen Corona war der Markt 5 Monate lang geschlossen. Während dieser Zeit musste Wiszniewski einen Teil der Standmiete bezahlen, hatte aber keine Einnahmen. „Das war eine sehr harte Zeit“, so Wiszniewski.
Nicht jeder Verkäufer spricht so gut deutsch wie Wiszniewski, doch das ist kein Problem. Wenn einem Deutschen Kunden etwas erklärt werden muss, ruft man einfach einen Nachbarn, der Deutsch kann, als Übersetzer. Andrea Giese kommt mit ihrer Freundin jedes Jahr zweimal auf den Markt. „Man kann uns schon Stammkunden nennen“, erzählt Giese. Sie kommen extra aus Mecklenburg-Vorpommern, und kaufen alles mögliche, „von Zigaretten bis Schlüpfer“, sagt sie und kichert. Ob sie in den Restaurants auf dem Markt auch essen? „Nein, wir bringen uns Stullen mit“, antwortet sie.
Was gibt es rund um den Polenmarkt Hohenwutzen zu entdecken?
Wer nach dem Shoppen noch Zeit hat, kann ein Stück weiterfahren und sich die westlichste Stelle Polens anschauen. Viel zu sehen gibt es allerdings dort nicht. Interessanter ist das Denkmal für die Schlacht bei Zehden ein paar Kilometer weiter. Diese Schlacht fand am 24. Juni 972 statt, und 1972, genau 1000 Jahre später, wurde ein Denkmal an dieser Stelle errichtet, das an die 1000-jährige Geschichte Polens erinnern soll. Jedes Jahr findet an dieser Stelle nun ein gespielte Kampfhandlung statt, mit Kriegern in historischen Uniformen. Dazu reisen Schaulustige aus ganz Polen an.
Hinter dem Polenmarkt reihen sich an der Landstraße noch diverse Einkäufsläden, Frisöre und „Nightclubs“. Auch die käufliche Liebe ist in Polen günstiger als im Nachbarland.
Hier schreibt Dirk Engelhardt. Ich wohne in Eberswalde, wo ich seit 2015 als freier Journalist arbeite. In dieser Rolle schreibe ich Artikel für das Eberswalde-Magazin sowie für diverse andere deutsche Zeitungen und Magazine. Geboren 1967 in Göttingen und in Hessen aufgewachsen, habe ich zuvor unter anderem für die Berliner Morgenpost gearbeitet und Reisebücher verfasst. Jetzt, als Eberswalder, bereitet es mir große Freude, die Themen und Geschichten meiner Heimat gut zu recherchieren und darüber kurzweilig zu berichten. Mehr über mich: https://www.dirk-engelhardt.de/ Über eine kleine Zuwendung über Paypal an paulpunter46@gmail.com würde ich mich freuen.