Einst verschrien, entwickelt sich Eberswalde jetzt als attraktiver Standort im Speckgürtel von Berlin
Eberswalde: Arm, und auch nicht sexy. So könnte man die Meldung zusammenfassen, die die Bundesagentur für Arbeit kürzlich herausgab. Darin ist zu lesen, dass der monatliche Durchschnittsverdienst in Eberswalde sage und schreibe 628 Euro unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Ob dieser Zahlen taten die Eberswalder Lokalpolitiker entrüstet. Doch wer mit offenen Augen durch die Innenstadt läuft, merkt schnell, dass Geschäfte, vor allem Fachgeschäfte, die hochwertige Waren anbieten, in Eberswalde nicht zu finden sind. Hochbetrieb herrscht in Läden, die nach Art von Rudis Reste Rampe Billigwaren verkaufen. Das gleiche Bild setzt sich in der Gastronomie fort: allein im letzten Jahr haben in Eberswalde fünf vietnamesische Restaurants der unteren Preisklasse eröffnet, die auch noch im Speisenangebot sehr ähnlich sind.
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Von der pulsierenden Industriestadt, die Eberswalde zu DDR-Zeiten war, ist kaum etwas übrig geblieben. Vom berühmten Ardelt Kranbau Eberswalde steht im Familiengarten noch ein Montagekran, der dort in den 50er Jahren aufgebaut wurde. Mehr als 3000 Arbeiter fertigten einst in der VEB Kranbau Hafenkräne, die in alle Welt exportiert wurden, viele tun auch heute noch ihren Dienst. Doch die Treuhand machte der Firma den Garaus. Heute sind noch gut 30 Angestellte auf dem riesigen Gelände beschäftigt, die sich vor allem der Instandhaltung bestehender Kräne widmen. Andere Firmen wie die VEB Leuchtenbau oder die VEB Chemische Fabrik Finowtal existieren schon lange nicht mehr.
Martin Hoeck, der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Eberswalde, sieht Defizite in der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt: „Die wirtschaftliche Entwicklung ist in Eberswalde nicht zufriedenstellend. Die Stadtverwaltung und die Stadtpolitik müssen sich in der gerade begonnenen Wahlperiode mehr um die Wirtschaftsförderung kümmern“, so Hoeck. „Es braucht eine sehr gute digitale und physische Infrastruktur, ausreichend Kita- und Schulplätze, ebenso wie qualitativ guten Wohnraum“, verlangt er. Doch damit nicht genug: „Gleichzeitig brauchen wir die Ausweisung von neuen Gewerbeflächen und die Überarbeitung des Einzelhandelskonzeptes. Außerdem müssen wir die bestehenden Industriearbeitsplätze erhalten und versuchen, neue zu gewinnen.“ Hoeck glaubt, in den letzten Jahren sei im Werben von Eberswalde als europaweiter Standort zu wenig passiert.
Christian Günther, der das älteste Café der Stadt, das Café Kleinschmidt, führt, macht verpasste Chancen im Tourismus aus: „Brandenburg ist kein relevanter Industriestandort. Warum man nicht die wunderschöne Landschaft des Oderlandes, in Tagesausflug-Entfernung der Millionenmetropole Berlin, als europaweit attraktive Urlaubsregion hat versucht auszubauen, ist mir unbegreiflich“, so Günther. „Da wäre Image-Politik nötig, gut finanziertes Marketing zur europaweiten Steigerung der Bekanntheit der Attraktivität der Region und gezielte Unterstützung für den Ausbau touristischer Infrastruktur“, ist seine Meinung. „Gern hochpreisig, um unkontrollierte Touristenmassen zu vermeiden.“ Er nennt zum Vergleich das Rheinland, das es versteht, mit dem Pfund zu wuchern, das es besitzt.
Sein Café Kleinschmidt müht sich nach Kräften, so der Cafébetreiber, ein wenig pulsierendes Leben in die 40.000 – Einwohner-Metropole zu bringen. „Aber wir merken, es dämmert mehr als zu pulsieren“, ist sein etwas deprimiertes Resumee.
Lost Places und neue, erfolgreiche Industrieansiedlungen
Der malerische Finowkanal, vor 400 Jahren erbaut, schlängelt sich durch die Stadt, an beiden Seiten jede Menge Lost Places wie die Ruinen der Papierfabrik Wolfswinkel, in der einst hochwertige Papiere für den englischen Hof produziert wurden. Doch Gastronomie ist an den Ufern kaum zu finden; immerhin soll sich jetzt der Verein Unser Finowkanal um die künstliche Wasserstraße mit den vielen historischen Schleusen kümmern. Kürzlich erwarb man das historische Boot „Funtensee“, das im Moment aber nur für spezielle Anlässe genutzt wird.
Indes können die Stadtväter auch eine erfolgreiche Industrieansiedlung vorweisen, bei deren Eröffnung sogar der Bundeskanzler einflog: im Gewerbegebiet am Finowkanal errichtete die Firma timpla by Renggli Deutschlands größtes Holzmodulwerk, in dem Holzelemente und Holzmodule für den nachhaltigen Hausbau gefertigt werden. Hier werkeln rund 100 Mitarbeiter an Holzmodulen für klimaschonende Gebäude. Nebenan hat gerade die letzte Manufaktur für Schulranzen in Deutschland dichtgemacht, die Firma McNeill produzierte dort mit rund 30 Angestellten Schulranzen für den deutschen Markt. Seit diesem Jahr werden deutsche Schulkinder also keine Ranzen „Made in Germany“ mehr kaufen können.
Auf einem der vielen ungenutzten Grundstücke in der Innenstadt, direkt am Finowkanal, steht zur Zeit noch der alte Schlachthof. Auf dem 7000 Quadratmeter großen Gelände plant die Firma ANH Hausbesitz aus Berlin eine neue Nutzung von Wohngebäuden, wobei der alte Schlachthof erhalten werden soll. In Planung ist auch das sogenannte „Hufnagelquartier“, ein rund 6000 Quadratmeter großes Gelände mit alten Fabrikgebäuden am Finowkanal, in dem einst Hufnägel produziert wurden. Hier planen Wernecke + Jahn Architekten „12 unregelmäßige Baukörper mit vier verschiedenen Gebäudetypen, die sich zu einem poetischen Ort zusammenfügen“ sollen, wie es das Architekturbüro etwas gestelzt ausdrückt. Die Wohnfläche soll dabei immerhin 19.000 Quadratmeter betragen.
Die WHG, die größte Wohnungsbaugesellschaft der Stadt, verfügt über rund 5800 Wohnungen, in denen rund 9300 Menschen leben. In Planung ist die Sanierung von 387 Wohnungen, die an Mieter mit Wohnberechtigungsschein vergeben werden. „Diese Wohnungen sind mietgebunden und belegungsgebunden“, gibt der Geschäftsführer Henrik Hundertmark zur Auskunft. Eine Mietwohnung mit zwei Zimmern und 51 Quadratmeter Wohnfläche im Cube an der stark befahrenen Heegermühler Strasse kostet bei der WHG derzeit 969 Euro, preislich also nicht allzuweit weg von ähnlichen Wohnungen im Prenzlauer Berg.
Mittlerweile ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der Stadt ist der Rofinpark. Der Name leitet sich vom ehemaligen Nutzer, dem Rohrleitungsbau Eberswalde, ab. Den Rohrleitungsbau gibt es immer noch, ein Großteil des alten Fabrikgeländes gehört aber Sarah Polzer-Storek, die das Gelände seit 20 Jahren zu einem Ort der alternativen Szene entwickelt. Renovierungen der alten Fabrikhallen aus Backstein werden nachhaltig und mit möglichst wenig Aufwand realisiert, dafür sind die Mieten für kleine Gewerbebetriebe erschwinglich. „Das macht den Rofin besonders“, wirbt Polzer-Storek, „genau diese Mischung aus Bodenständigkeit, Kunst und Kultur“.
Jüngst hat hier auch wieder eine Brauerei eröffnet, die Kati Hausbrauerei, nachdem das alte Brauhaus Eberswalde schon in den 90er Jahren dichtmachte. Polzer-Storek sieht Eberswalde auf einem guten Weg: „Wichtig für eine gute wirtschaftliche Entwicklung ist die Atmosphäre in einer Stadt, sind die sogenannten weichen Standortfaktoren, die im Grunde gar nicht weich sind, sondern knallharte Gründe, warum Städte attraktiv für dringend benötigte Fachkräfte sind.“
Bildung als starker Wirtschaftsfaktor für die Stadt
Ein nicht ganz unwichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt ist die Hochschule für nachhaltige Entwicklung, die in Eberswalde einen Stadtcampus und einen Waldcampus hat, und an der vor kurzem 300 neue Studenten begrüßt wurden – mit Freibier und kostenlosem Essen auf dem Marktplatz, wie jedes Jahr. Aus ihr gehen innovative Unternehmen wie die Finizio Trockentoiletten hervor, die aus den Hinterlassenschaften der Benutzer verwertbare Komposterde produzieren.

Einer, der in Eberswalde schon zu DDR-Zeiten lebt, ist Andreas Gerke. „Nach meinem Empfinden hat sich die Stadt negativ entwickelt,“ sagt er im Gespräch. Der schöne runde Brunnen auf dem Marktplatz wird vom ihm und vielen alten Eberswaldern vermisst. An seiner Stelle steht jetzt eine rechteckige „Seuchenwanne“, wie es Gerke ausdrückt. Dafür hat die Imbissbude auf dem Platz, die bislang Currywurst und Pommes Frites anbot, einen neuen Betreiber aus Portugal: jetzt gibt es hier Pastel de Nata und Galao.
Hier schreibt Dirk Engelhardt. Ich wohne in Eberswalde, wo ich seit 2015 als freier Journalist arbeite. In dieser Rolle schreibe ich Artikel für das Eberswalde-Magazin sowie für diverse andere deutsche Zeitungen und Magazine. Geboren 1967 in Göttingen und in Hessen aufgewachsen, habe ich zuvor unter anderem für die Berliner Morgenpost gearbeitet und Reisebücher verfasst. Jetzt, als Eberswalder, bereitet es mir große Freude, die Themen und Geschichten meiner Heimat gut zu recherchieren und darüber kurzweilig zu berichten. Mehr über mich: https://www.dirk-engelhardt.de/